Moorleichen

Die Männer von Hunteburg – zwei Moorleichen

Die sogenannten Männer von Hunteburg waren zwei Moorleichen aus dem 3. oder 4. Jahrhundert, die 1949 in der Gemarkung Schwege bei der Gemeinde Bohmte im niedersächsischen Landkreis Osnabrück gefunden wurden. Der Fundort lag im Campemoor, einem Teil des Großen Moores und war früher Teil der Gemarkung Hunteburg, wovon der Name des Fundes abgeleitet wurde.

Fundgeschichte

Am 25. April 1949 entdeckten Torfarbeiter Stoffstücke, die aus der 4 Meter hohen frisch mit der Baggerschaufel abgestochenen Torfwand heraushingen. Sie besahen die Stoffstücke genauer und entdeckten die Reste zweier menschlicher Körper. Die Betriebsleitung des Abbaubetriebes ließ die Arbeit sofort einstellen und benachrichtigte die Polizei. Die Kriminalpolizei konnte jedoch keine Hinweise auf ein kürzlich verübtes, neuzeitliches Verbrechen feststellen und benachrichtigte daraufhin das Niedersächsische Landesmuseum in Hannover. Am 27. und 28. April 1949 reisten der Archäologe Wolfgang Dietrich Asmus aus Hannover und der Botaniker Siegfried Schneider an, um den Fund in allen Einzelheiten zu dokumentieren und auszugraben. Dieser Moorleichenfund war einer der ersten, die von Wissenschaftlern von Anfang an aus einem Moor ausgegraben werden konnten. Nahezu alle bis dahin gefundenen Moorleichen waren nicht sachgemäß geborgen worden und gelangten erst später in wissenschaftliche Obhut, nachdem ihre genauen Fundzusammenhänge verloren und die Moorleichen bereits nachhaltig geschädigt worden waren. Der Fund wurde im Block geborgen und in einer Holzkiste zur weiteren Bearbeitung ins Labor des Landesmuseums nach Hannover transportiert. Da das Museum in den Nachkriegsjahren nicht genug finanzielle Mittel für die benötigten Mengen an Konservierungsmittel wie Alkohol oder Formalin aufbringen konnte wurde beschlossen, die Leichen als Trockenpräparate zu konservieren. Lediglich die Genitalien, sowie Finger- und Fußnägel wurden separat in einer Alkohollösung konserviert. Da bei der Trocknung der Leichen mit einer erheblichen Schrumpfung zu rechnen war, wurde nach der Freilegung aus dem Moorblock am 9. Mai im Labor ein detailgetreues Gipsmodell der Fundsituation angefertigt. Die wissenschaftlichen Untersuchungen wurden von dem Museumsleiter Karl Hermann Jacob-Friesen, seinem Assistenten Wolfgang Dietrich Asmus, dem Botaniker Siegfried Schneider, der Anthropologin Gisela Asmus und weiteren Spezialisten durchgeführt. Für die Dauer der Untersuchungen wurden die Leichen regelmäßig mit einer Alkohol-Formalin-Lösung eingesprüht. Die Textilien wurden separat durch Karl Schlabow konserviert. Nach den Untersuchungen wurden die sterblichen Überreste der Männer einer Hannoveraner Chemiefirma zur Trocknung übergeben. Dort sind die Leichen dann verschwunden. Möglicherweise sind sie durch eine falsche Temperatureinstellung des Trockenofens verbrannt.

Befunde

Die Männer von Hunteburg lagen etwa 105 cm unterhalb der Mooroberfläche in Seitenlage dicht hintereinander und mit den Köpfen in Richtung Westen. Ihre Kopf- und Schulterbereiche waren bereits durch einen Bagger zerstört. Über den Leichen waren weder Steine noch Holzstücke zu deren Fixierung im Moor zu finden, wie dies bei anderen Funden häufig der Fall ist. Aus dem bereits abgestochenen Torf konnten noch einige lose Körperteile wie Unterkiefer, eine Schädeldecke, ein Schneidezahn, Halswirbel und einige weitere lose Knochen eingesammelt werden. Jeder der beiden Körper war in einen Rechteckmantel eingeschlagen, deren Enden sorgfältig über den Füßen zusammengelegt worden waren. Beide Männer waren, bis auf die beiden Wollmäntel, anscheinend unbekleidet, es fanden sich auch keine weiteren Kleidungs- oder Schmuckteile bei ihnen. Ob sie wirklich nackt in ihre Mäntel gewickelt worden sind, ist unsicher, da eine eventuell vorhandene Kleidung aus pflanzlichen Rohstoffen wie Flachsfasern im sauren Milieu des Moores zersetzt worden wäre. Ihre Hauthüllen waren durch die Moorsäuren lederartig gegerbt, an einigen Stellen aufgerissen und zeigten deutliche Abdrücke der Mantelstoffe. Die Knochen waren größtenteils durch die Säuren entkalkt und in ihrer Eiweißstruktur stark verändert. Einige wenige Knochen und Rippen hatten die Haut durchstoßen und lagen offen zu Tage. Die Lage und Form der Knochen zeichnete sich jedoch deutlich unter der Haut ab. Beide Männer hatten sauber zugeschnittene Finger- und Fußnägel. In den Mänteln konnten Kopfhaare sowie die auf etwa 2 cm gestutzten Barthaare geborgen werden.

Deutung

Das Profil im abgestochenen Moor um die Fundstelle ließ erkennen, dass die Männer nicht in einer eingetieften Grube in das Moor gelegt wurden. Sie wurden in kostbare Mäntel eingewickelt und auf sorgfältige Weise im Moor bestattet oder zumindest dort niedergelegt. Der sehr gute Erhaltungszustand deutet an, dass sie in das sehr feuchte Moor gelegt und mit Torfplaggen abgedeckt worden waren. Sie starben in einer Epoche, in der die Brandbestattung in dieser Region die allgemein übliche Bestattungsform war, von der nur in seltenen Ausnahmefällen abgewichen wurde. Diese Umstände lassen eine Hinrichtung oder eine einfache Entsorgung von Mordopfern als eher unwahrscheinlich erscheinen. Ein Unfalltod ist aufgrund der Fundsituation nahezu sicher auszuschließen. Aufgrund der fehlenden Kopf- und Schulterpartien lässt sich ihre genaue Todesursache nicht bestimmen. Alle Fundumstände zusammengenommen deuten am ehesten darauf hin, dass die Männer rituell getötet und im Moor geopfert wurden. Über die Gründe der vermuteten Opferung der beiden Männer wurden die verschiedensten Theorien aufgestellt, wie ein Strafopfer zweier körperlich entehrter Homosexueller, oder der Bestrafung wehrfähiger aber kriegsunwilliger Deserteure in Anlehnung an Kapitel 12,1 von Tacitus’ Werk De origine et situ Germanorum wonach ignavi („Feiglinge“), imbelles („Kampfunwillige“) und corpore infames (persönlich freie Männer, die Tacitus zufolge im Rahmen gleichgeschlechtlicher Kontakte die sexuell passive Rolle einnahmen) durch Versenken im Moor bestraft wurden. Nach anderen Deutungstheorien könnte es sich um eine Sonderbestattung mit unheilabwehrendem Hintergrund aufgrund einer besonderen Rolle, die beide Verstorbenen in ihrem sozialen Umfeld innehatten; oder weil die Männer ohne erkennbare äußere Einwirkung zu einer Unzeit ihr Leben verloren hatten – eben nicht im Alter, nach Krankheit oder Verwundung – und zur Vorsorge eines Widergängertums entweder vorübergehend oder dauerhaft eine Sonderbestattung im Moor erhielten. Ein weiteres Denkmodell sieht in der Moorbestattung der beiden Männer eine Art Übergangsgrab, um die Verstorbenen für einen Zeitraum zu konservieren, bis den Angehörigen die kostspielige, standesgemäße Bestattung nach dem allgemein üblichen Bestattungsritus möglich war. Ähnlich gelagerte Funde mehrerer miteinander im Moor versenkter Personen liegen unter anderem mit den beiden Männern von Weerdinge aus dem Weerdingerveen, einem zu den Niederlanden gehörenden Teils des Bourtanger Moores aus der Zeit um 40 vor Chr. und 50 nach Chr., oder den beiden 16 und 35 Jahre alten Männern von Bolkilde auf der dänischen Insel Als (Sydjylland) aus der Zeit um 3490–3370 vor Chr. vor, die allerdings älter datieren. Mit den Moorleichen von Wijster liegt eine gleichzeitige Niederlegung vierer Individuen vor.

Textquelle: Wikipedia mit Zugriff am 01.04.2020. Zum Artikel.